Dunkel gekleidete Gestalten mit weissen Rabennasen empfingen die Besucher und geleiteten sie wortlos auf die Plätze. Düstere Musik begleitete dieses seltsame Geschehen. Dann war es aber auch schon vorbei mit Dunkelheit und Düsternis. Die Mitglieder der Theaterwerkstatt Gleis 5 aus Frauenfeld liessen mit wenigen Mitteln und sparsam eingesetzten Requisiten, mit Improvisationskunst und riesiger Spielfreude Phantasiewelten entstehen.
Nachdenklich, berührend und voller Lebensfreude
Lebensfreude, Saft und Kraft
Und erzählten dabei einige wunderliche, lustige und erbauliche der insgesamt einhundert Geschichten des Decamerone. Geschichten voller Lebensfreude, Saft und Kraft. Geschichten, die die Besucher spüren liessen: Der Mensch ist, wenn er erzählt. Denn darum geht es in dem von Giovanni Boccaccio bereits Mitte des 14. Jahrhunderts zur Zeit der Pest geschriebenen Meisterwerks: Sieben junge Männer und drei Frauen sind vor der tödlichen Krankheit aus Florenz in ein abgelegenes Landhaus in den umgebenden Hügeln geflüchtet. Jeder Tag ist einer von ihnen Königin oder König und darf ein Geschichtenthema vorgeben.
Wohltuend auch die Selbstironie der Schauspieler, die in bester Schwyzer Mundart verkündeten, dass sie das Stück kaum kennen, da sie erst vor kurzem durch den Regisseur engagiert worden seien. Dabei habe ich Focaccia und Amarone verstanden und nicht Bocaccio und Decamerone. Erheiternd auch die immer wieder einfliessenden Bezüge zu dem uns alle in den letzten Monaten plagenden Coronavirus. So wurde zwischen zwei sich Küssende eilends eine Fensterscheibe dazwischengehalten. Und bei jedem Händedruck auf der Bühne flugs das Desinfektionsmittel hervorgeholt.
Unglücklich verliebter Edelmann
Mit Freude und Esprit wurden einzelne Episoden aus Bocaccios Oeuvre dargestellt. Die Geschichte des kleinen, dicken Cipolla ebenso wie die Geschichte eines Edelmannes, der unglücklich verliebt in eine Edelfrau, die für ihn unerreichbar bleibt, seinen Trost in einem schwer nach Ente aussehenden und Puppenform am Spiel teilnehmenden Falken findet. Den Falken, der in Wahrheit eine Ente ist, meuchelt er und verkostet ihn an seine ihn nach vielen Jahren aufsuchende vergebliche Liebe. Pech nur, dass sie genau diesen Vogel für ihren kranken Sohn erwerben wollte.
Alles in allem ein wunderbarer Theaterabend an schöner Location in einer lauen Sommernacht. Chapeau!