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Berneck
24.05.2021
25.05.2021 15:03 Uhr

Bürogeplauder: «Wille zur Gestaltung ist meine Motivation»

Bruno Seelos, seit fünfeinhalb Jahren Gemeindepräsident in Berneck
Bruno Seelos, seit fünfeinhalb Jahren Gemeindepräsident in Berneck Bild: Ulrike Huber
Rheintal24 wird in unregelmässigen Abständen unter dem Titel „Bürogeplauder“ mit den wichtigen Persönlichkeiten des Rheintals reden. Den Anfang machen wir mit dem Bernecker Gemeindepräsidenten Bruno Seelos.

Seit gut fünfeinhalb Jahren ist Bruno Seelos Bernecker Gemeindepräsident. Davor war er über elf Jahre Rorschacher Stadtschreiber. Der Gemeinderat wie auch das Rathausteam hatten vor seiner Wahl während der halbjährigen Vakanz nach dem Rücktritt von Andreas Zellweger im Bernecker Gemeindepräsidium sehr gute Arbeit geleistet und unter anderem die neue Verwaltungsorganisation mit Geschäftsleitung vorbereitet, die sich seit 2016 sehr bewährt hat.

«In Rorschach war 2003 Stadtpräsident Thomas Müller neu gewählt worden und die Bevölkerung schuf 2004 das Gemeindeparlament ab, um die Stadtentwicklung zu forcieren. In jener Zeit übernahm ich als 28-Jähriger die Aufgabe des Stadtschreibers. Auf 2005 wurde das Ressortsystem im Stadtrat durch eine operative Geschäftsleitung ersetzt. Diese Neuorganisation war mitentscheidend, dass das grosse Potential, das in Rorschach schlummert, entwickelt werden konnte. Der «turn around» war aber kein Selbstläufer, sondern musste erarbeitet werden. Gelernt habe ich dabei viel, insbesondere auch dass mit Teamspirit und Teamwille viel bewegt werden kann.

Das Bernecker Rathaus im denkmalgeschützten Ortszentrum des Weindorfs Bild: zVg

Man kann im Leben nicht alles planen. So hatte Bruno Seelos nicht mit einem Wechsel nach Berneck gerechnet, umsoweniger als er schon 2012 angefragt worden war und sich wegen verschiedener laufender Projekte in Rorschach gegen eine Kandidatur entschieden hatte. Anders war die Situation im 2015. Und so ist es ja dann auch gekommen. Bruno Seelos wuchs in Berneck auf, absolvierte seine kaufmännische Lehre im Balgacher Rathaus, arbeitete danach bei der Stadtkanzlei Wil und absolvierte anschliessend die Fachhochschule für Wirtschaft in St. Gallen mit Vertiefung Marketing. Als Product Manager arbeitete er dann zwei Jahre bei Hilcona, für «Besseresser». Damals Marktführer in Deutschland, bei dem er für die Frischgerichte zuständig war.

«Das war eine spannende Arbeit in einem sehr erfolgreichen Unternehmen, wo ich viel gerade auch bezüglich Projektarbeit lernen konnte. Irgendwann merkte ich aber, dass mich andere Aufgaben mit grösserer Nachhaltigkeit wie Stadtführung und -entwicklung mehr reizten: Für die Menschen Lebensräume und Infrastruktur zu gestalten und weiterentwickeln. Diese Chance bot sich in Rorschach und heute in Berneck. Das in der Essenz ist meine grosse Motivation.»

  • Bruno Seelos plauderte in seinem Büro mit rheintal24 über sein Leben, seine Arbeit, seine Ziele Bild: Ulrike Huber
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In Rorschach war der heute 45-Jährige als Stadtschreiber im operativen wie auch im strategischen Bereich tätig, koordinierte diese Bereiche und war für die Kommunikation verantwortlich. Heute als Gemeindepräsident steuert er die strategische Ebene zusammen mit dem Gemeinderat und lenkt mit den Bereichsleitenden die operative Ebene. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

«Vorher war ich Co-Pilot und konnte meine Meinung äussern, heute trage ich die Schlussverantwortung als Pilot und entscheide mit.»

Nicht nur als Bernecker Gemeindeoberhaupt trägt er strategische Veranwortung, sondern auch als Präsident der Sozialen Dienste Mittelrheintal oder als Vorstandsmitglied der Vereinigung St.Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten, so der etwas sperrige Namen dieses wichtigen Gremiums, kurz VSGP genannt. Dort hat Seelos als Präsident der Rheintaler Regionalkonferenz der Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten die Verantwortung für den Kontakt mit dem Baudepartement des Kantons St.Gallen.

«Der zweite Nachtrag zum kantonalen Planungs- und Baugesetz, an dem ich für die VSGP mitwirken konnte, wird wichtige Verbesserungen bringen. Verfahrensbeschleunigungen kann ich leider aber nicht in Aussicht stellen, die aus meiner Sicht aber wesentlich dazu beitragen könnten, die heute hohe Anzahl an Einsprachen zu verringen. Die gesetzlichen Änderungen im jetzigen Nachtrag sind mehr materieller Art. So entscheidet momentan die kantonale Denkmalpflege über alle Baugesuche, die Bauten im Ortsbildschutzgebiet von nationaler Bedeutung wie in Berneck betreffen.»

Ein Bild seines Patenkindes schmückt das Büro von Bruno Seelos Bild: Ulrike Huber

Seelos hat sich dafür eingesetzt, dass künftig der Gemeinderat als Ortsplanungsbehörde bei Baubewilligungen wieder begründet entscheiden kann, welche denkmalpflegerischen Auflagen verfügt, welche abgeändert oder allenfalls sogar nicht verfügt werden. Zum Kompromiss gehört, dass auch die Denkmalpflege den Entscheid des Gemeinderats anfechten können wird. Der grosse Grenzabstand und die Grünflächenziffer sind die wichtigsten neuen Instrumente, die die Gemeinden dann fakultativ ins Baureglement aufnehmen können.

Was Bruno Seelos antreibt, ist der Wille zur Gestaltung. Was man in Berneck deutlich erkennt, wo in den bald sechs Jahren unter seiner Ägide viel passiert ist. Was der bescheidene Gemeindemanager, der selbst in Berneck lebt und schon über zwanzig Jahre mit seinem Partner zusammen ist, aber nicht als seine alleinigen Meriten ansieht.

«Ich habe mit Gemeinderat und -verwaltung ein sehr gutes Team, das die gemeinsam festgelegten Aufgaben und Projekte führt. Die Bereichsleitenden sind mit vielen Kompetenzen ausgestattet und lösen beispielsweise Aufträge bis 10´000 Franken im Rahmen des Budget selber aus. Ich bin regelmässig – teilweise täglich – im Kontakt mit den Bereichsleitenden und alle zwei Wochen findet eine Geschäftsleitungssitzung statt, um bereichsübergreifende Projekte und Arbeiten zu koordinieren.»

  • Bruno Seelos mit der weitum bekannten Holzfigur «Toni», die Bürger und Besucher begrüsst Bild: Ulrike Huber
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Auch Bruno Seelos hat die Vorgänge rund um das St.Margrethner Budget wahrgenommen. Wo das Budget an der Urne bachab geschickt wurde, nachdem ein anonymes Flugblatt die Stimmbürger zum NEIN aufgefordert hatte, weil keine Senkung des Steuersatzes vorgesehen war.

«Anonyme Schreiben gehören nicht zu unserer politischen Kultur. Echte Demokratie geht anders: Wir sagen unsere Meinung offen und stehen mit Namen dazu, damit auch eine Diskussion entstehen kann. Der Vorfall zeigt auch, dass die Bürgerversammlung eine wichtige Funktion in unserer Gemeindeorganisation erfüllt: Die offene Diskussion, die Lösungsfindung und dann ein Entscheid, hier konkret über den Steuerfuss im Rahmen des Budgets. An einer Urnenabstimmung konnte das Budget nur mehr gutgeheissen oder abgelehnt werden. An der nun angesetzten Bürgerversammlung wird der offene Austausch wieder möglich sein.»

Corona hat unser Leben in den letzten Monaten stark beeinflusst. Auch die direkte Demokratie wurde eingeschränkt. Wobei Bruno Seelos der Ansicht ist, dass die Schweiz bei aller Kritik relativ gut durch diese Zeit gekommen ist.

«Schweizerinnen und Schweizer haben ein «Antiautoritätsgen» in der DNA und sind kritischer gegenüber Anordnungen der Obrigkeit. Ich selber fühle mich auch nicht als Teil einer Obrigkeit, sondern ich erfülle eine treuhänderische Aufgabe, die mir die Berneckerinnen und Bernecker anvertraut haben. Als liberal eingestellte Person gehöre ich der FDP an. Aus meiner Sicht muss der Staat in gewissen Bereichen steuernd eingreifen. Wichtig ist aber, zuerst auf das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen zu setzen, die Menschen zu motivieren, Gestaltungsräume offen zu lassen und nicht alles exakt vorzugeben.»

Bruno Seelos: «Was ich jetzt mache, mache ich sehr gerne und mit viel Freude» Bild: Ulrike Huber

Nachdenklich ist für den Liberalen, dass in Demokratien immer mehr der Glaube an die Politik in Frage gestellt wird. Wie in den USA, wo unliebsame Wahlresultate nicht akzeptiert werden, oder wie die spezielle Situation in Österreich, wo der Politbetrieb in Wien immer wieder mehr als unschöne Überraschungen mit sich bringt wie aktuell die Ibiza-Affäre.

Verändert hat sich auch die Medienlandschaft, die an Vielfalt und Leserschaft verlor, was sich auf die Gesellschaft und damit auch auf die Politik auswirkt. Neu hinzugekommen sind dafür Social Media, die auch «fake news» oder «alternative Fakten» mit sich brachten.

«Ich vermisse ab und an den Diskurs, das kritische Hinterfragen, Einordnen und Kommentieren, was eigentlich das „Kerngeschäft“ des Journalismus ist. Sicher hat das auch mit der Monopolisierung in der Medienlandschaft zu tun. Weil aber auch in Berneck immer weniger Menschen regelmässig Zeitungen lesen, kommuniziert die Gemeinde seit 2018 auch auf Facebook. Ab diesem Sommer werden wir neu ein Informationsblatt herausgeben, um möglichst alle Berneckerinnen und Bernecker zu erreichen. Aber nicht falsch verstehen, es wird ein Informationsblatt, keine Zeitung mit Inseraten und Leserbriefspalten.»

Und die Lebensziele des Bernecker Gemeindepräsidenten?

«Was ich jetzt mache, mache ich sehr gerne und mit viel Freude. Wichtige Projekte wie die Einheitsgemeinde sind umgesetzt oder sind weit fortgeschritten. Wie der Hochwasserschutz Littenbach-Äächeli. Verschiedene Arealentwicklungen sind unterwegs oder laufen an und die Ortsplanungsrevision werden wir wohl in den nächsten 1 ½ Jahren in Angriff nehmen. In den nächsten vier, fünf Jahren werde ich mir dann überlegen, ob ich allenfalls nochmals einen Berufsentscheid fälle. Heute ist für mich mit 45 Jahren wichtig, dass ich gesund und zufrieden bin, viel Freude an der Aufgabe habe und noch ganz viel erleben möchte, beruflich wie privat.»

gmh/uh
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