Jeden Donnerstag flattert ein «Spatz» in meine Mailbox. So nennt sich der wöchentliche Newsletter, der seit einigen Wochen News aus dem Unterrheintal verspricht. Aus Neugier und beruflichen Gründen habe ich ihn abonniert. Die letzten paar Male landete er im Spamordner. Aber der Verlust ist sehr überschaubar.
«Spatz» ist das Projekt eines Vereins in Basel. Die Mission: Der Aufbau von «Informationsnetzwerken» für kleine Gemeinden. Bisher sind drei Gebiete erfasst: Einige Dörfer im Alttoggenburg, einige im Unterrheintal sowie die Region Versoix. Die Schweiz wurde also noch nicht lückenlos erfasst.
Demnächst wird der St.Galler Kantonsrat wie jedes Jahr die Vergabe der Gelder aus dem Lotteriefonds behandeln. Mit diesen werden Projekte aus dem Kulturbereich bedacht, von Literatur über Musik, Tanz, Theater und andere. Alles, was man tun muss: Ein Gesuch schreiben und hoffen, dass man empfehlende Worte der Regierung erhält und der Kantonsrat das Begehren durchwinkt.
Die Chancen, an die Moneten zu kommen, sind gross, wenn man weiss, wie man es machen muss. Denn unsere werten Politiker sind zumeist ahnungslos und haben auch keine Lust, den Wahrheitsgehalt der Gesuche zu überprüfen.
Davon könnte nun «Spatz» profitieren und 200‘000 Franken «Anschubfinanzierung» erhalten. Vorausgesetzt, es findet sich kein Parlamentarier, der Projekt näher anschaut und dazu ein paar Fragen hat.
«Chrüsimüsi» ohne Wert
«Spatz» ist wie erwähnt ein Newsletter. In diesem werden jeweils um die zehn Schlagzeilen mit weiterführendem Link geliefert. Klickt man darauf, erhält man eine Auswahl aus dem Folgenden: Polizeimeldungen, eher laienhaft geschriebene Vereinsberichte, Veranstaltungshinweise, Gemeindemitteilungen und Leserbriefe.
Das alles erscheint im bunten Durcheinander, und redaktionelle Eigenleistungen gibt es sowieso nicht. Dazu kommt: Das meiste konnte man vorher schon lesen, beispielsweise hier auf rheintal24.ch. Und die Mechanik – Klicks auf einzelne Links in einem Newsletter – erinnert fatal an die Anfänge des Internets.
Aber die Leute, die vor der parlamentarischen Entscheidung die Gesuche überprüfen, glauben offenbar jedes Wort, das man ihnen sagt. Sie liessen sich einreden, «Spatz» sei eine «innovative Informationsquelle», es stärke «die demokratische Teilhabe» und rege dazu an «lokale Themen aktiv zu diskutieren».
Wie zur Hölle soll das alles passieren mit einem simplen Newsletter, bei dem Hinz und Kunz ein bisschen mitschreiben können und in dem keine einzige Information enthalten ist, die man nicht schon vorher hatte?
«Nicht gewinnorientiert»: kein Wunder
Was die Prüforgane inklusive der St.Galler Regierung wohl überzeugt hat, in die Brieftasche (natürlich nicht die eigene) zu greifen, dürfte das Wort «gemeinnützig» sein. Denn «Spatz» ist «nicht gewinnorientiert». Das nehme ich schwer an, denn wer sollte dafür auch Geld bezahlen? Weder Abonnenten noch Inserenten könnte man für einen solchen Dinosaurier des digitalen Zeitalters gewinnen.
Wer wirklich behauptet, ein Jekami-Newsletter sei «innovativ», ist entweder ahnungslos oder hatte Zugang zu einem grossen Kanister Lack – und sehr viel Durst.
Natürlich höre ich schon die Gegenargumente. Denn beim Lotteriefonds geht es wenigstens nicht um Steuergelder. Er wird gespiesen aus den Reingewinnen der Lotterie, und dieser Ertrag muss «für gemeinnützige» Zwecke eingesetzt werden. Nur steckt in dem Begriff das Wort «nützen» – und den Nutzen suche ich bei diesem Projekt (und sehr vielen weiteren) nach wie vor vergeblich.
Spricht denn etwas dagegen, dass man das Geld – in diesem Jahr sind es insgesamt 8,5 Millionen Franken – wenigstens in etwas buttert, das der Allgemeinheit wirklich etwas bringt? Dass jemand wirklich will?
Überleben, ohne gebraucht zu werden
Steter Tropfen höhlt den Stein. Als ich vor vielen Jahren wiederholt für das Unternehmermagazin «Leader» über die teils absurden Projekte berichtete, die aus dem Lotteriefonds unterstützt wurden, regte sich für eine kurze Zeit eine Art Ehrgeiz bei den Parlamentariern, die begannen, das eine oder andere Gesuch zu hinterfragen.
Das kann man auch dieses Mal nur hoffen. Es kann nicht sein, dass gilt: Wer schnell zu Geld kommen möchte, soll sich einfach ein Projekt einfallen lassen, das mit Garantie nicht wirtschaftlich und damit «nicht gewinnorientiert» ist, aber nur, weil kein Mensch es möchte oder braucht. Dann in einem Gesuch das Blaue vom Himmel versprechen, und schon ist der Mist geführt.
Sicher ist: Eine Idee, die kein Bedürfnis erfüllt, kann man auch mit viel Geld nicht zum Erfolg führen. Dank Zuwendungen von Seiten wie dem «Migros Pionierfonds», der «Stiftung Mercator» und vielleicht schon bald des Lotteriefonds wird der «Spatz» sicher einige Zeit herumflattern können. Was aber nicht heisst, dass er damit etwas hinterlässt – ausser dem, was Spatzen ebenso hinterlassen, beispielsweise auf Autodächern.