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St. Margrethen
24.09.2024
17.09.2024 16:56 Uhr

Alfred Kriftner Teil IV: «Welcome to your new homeland»

Alfred Kriftner
Alfred Kriftner Bild: zVg
Genug ist genug. Zu viel läuft falsch in diesem Land. Heimat? Nein, sicher nicht hier. Die Lösung: Auswandern in die USA. Das gelobte Land lockt mit grenzenloser Freiheit, einem anderen Politsystem und vor allem einem anderen Mindset.

Perfekt also für eine Flucht aus der sehr engstirnigen Schweiz. Doch bis Kriftner einen Fuss in die Staaten setzen kann, müssen noch diverse Hindernisse überwunden werden. 

«Bürokratie. Das war einer der Gründe, weshalb ich aus der Schweiz ausgewandert bin. Irgendwann war es mir einfach zu viel und ich hatte genug», beginnt Kriftner. Dass er eines Tages auch seiner Meinung nach zu Unrecht des Rassismus beschuldigt wurde und mit einem blauen Auge davonkam, machte die Situation nicht besser. «Ich hatte die Schnauze gestrichen voll», sagt der Rheintaler in gewohnt direkter und unverblümter Art. «Ausserdem überlegt man es sich auch vom Alter her. Irgendwann ist man zu alt, um noch eine grosse Veränderung in seinem Leben einzugehen. Mit 45 Jahren habe ich daher den Entschluss gefasst, gemeinsam mit meiner Familie die Schweiz zu verlassen.»

Der Beruf sei nicht das Problem gewesen. «Dieser gefiel mir immer noch.» Doch das Umfeld wurde immer unerträglicher. «Einst war ich ein richtiger Patriot. Ich war Feuerwehrmann, machte meinen Militärdienst, war in der Politik und bin zu jeder Zeit einer Arbeit nachgegangen.» Und doch kam das Bedürfnis nach einer Veränderung. «Doch wohin? Das wusste ich lange Zeit nicht. Innerhalb von Europa änderte sich meiner Meinung nach zu wenig. Im Gegenteil; in anderen Ländern war es sogar noch schlechter.» Daher erschien ihm Amerika wie der rettende Hafen: «Hier hatte ich alles, was ich brauchte. Die Freiheit ist grenzenlos und man konnte dem American Dream nachgehen.»

Ein Appenzeller in Texas

Doch Amerika ist gross und die Auswahl ist riesig. Will man ins eiskalte Alaska? Ins brütend heisse Kalifornien mit dem Death Valley? Oder doch lieber in Amerikas Altersheim – Florida? «Die Auswahl war riesig. Doch aufgrund eines Roadtrips wusste ich, dass mir Texas sehr gut gefällt.» Doch die Entscheidung wurde nicht alleine aufgrund eines Roadtrips gefällt: «Als ich 35 Jahre alt war, also zehn Jahre vor der effektiven Auswanderung, schaute ich einen Film rund um den zweiten Weltkrieg. Das behandelte Thema war Pearl Harbor. Das hat mich brennend interessiert.» Im Abspann flimmerte dann der Name «Admiral Nimitz Museum Texas, Fredericksburg» über den Bildschirm. «In dieser Sekunde habe ich entschieden: Das muss der richtige Ort für uns sein.» Gesagt, getan, die Kriftners ziehen also nach Texas. «Ich habe einen neuen Sinn und einen Angelpunkt gesucht – und ihn in Texas gefunden.»

Doch was macht Texas so besonders? «Das Land und die Leute sind einfach toll. In der Schweiz war ich mit meiner politischen Meinung immer in der absoluten Minderheit. Hier in Texas bin ich in der Mehrheit und habe viele Verbündete.» Und natürlich war auch Admiral Nimitz, der Oberbefehlshaber der alliierten Marineeinheiten im Pazifikkrieg, einer der Gründe. «Dieser Mann fasziniert mich extrem. Noch nie hatte ein Mann so viele Personen unter sich zu verantworten und eine so grosse Macht. Daher ist das Museum in Fredericksburg ein absoluter Must-go. Am Anfang war es noch im Hotel seiner Eltern angesiedelt, mittlerweile steht es in einem eigenen Haus.»

Angehängt hier noch ein paar kleine «Fun facts» rund um Texas: «Auf einer Tafel gibt es eine Inschrift eines gefallenen Soldaten namens Gottlieb Appenzeller. Man kann sich ja denken, woher der wohl gekommen ist. Ausserdem ist Texas so riesig, dass ich einige Leute kenne, die noch nie in ihrem Leben aus dem Bundesstaat herausgekommen sind.»

«In der Schweiz war ich mit meiner politischen Meinung immer in der absoluten Minderheit.»
Alfred Kriftner

«Augen zu und durch»

Der Bundesstaat lockt mit schier unendlichen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung. «Ausserdem haben auch die Western von meiner Kindheit noch einen ordentlichen Beitrag zu meiner Faszination geleistet.» Mit diesem Ziel vor Augen ging es sodann ans Eingemachte.

«Es ist viel schwieriger, etwas aufzuhören, als etwas Neues anzufangen. Denn ich hatte nicht nur eine Familie, sondern auch eine eigene Firma, eine eigene Werkstatt und vor allem eigene Kunden, die ich weitervermitteln musste.» Das sei ein extremer Aufwand gewesen. «Doch ich musste mich von vielen Dingen trennen. Den Rest habe ich veräussert; beispielsweise auf Ebay, Ricardo, etc.» Er habe das mitnehmen wollen, was ihm wirklich am Herzen lag. «Lieber neu anfangen», war seine Devise. «Augen zu und durch.»

Der Patriotismus ist tief im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner verwurzelt. Bild: zVg

Anspruchsvolles Aufnahmeverfahren

Doch das Trennen von alten Sachen und Erinnerungen ist nur eine Seite der Medaille. Der wahre Horror beginnt bei der Bürokratie. «In das Einbürgerungsprogramm der Staaten reinzukommen, ist nahezu unmöglich. Nur eine Handvoll Bürger schaffen es jedes Jahr. Auch wir mussten uns mehrmals bewerben, bis es endlich geklappt hat.» Tatsächlich kamen die Kriftners erst rein, nachdem sich eine Sekretärin um die Angelegenheiten kümmert. «Ich selber habe es nie geschafft.»

Der Prozess ist extrem langwierig und anspruchsvoll. «Zuerst standen mehrere Arztbesuche auf dem Plan. Hier wurden wir komplett durchleuchtet. Anscheinend will man nur gesunde Menschen ins Land holen.» Anschliessend folgte ein Termin auf der Botschaft, wo man direkt «Sächzätusig Stei!» blechen musste. Den Pass behielt man ebenfalls zurück.

«Nur gesunde Menschen ins Land lassen»

Anschliessend dauerte es eine ganze Weile, bis wir eines Tages den Brief bekamen, dass wir ab sofort in den USA leben dürfen. «Das grenzte an ein Wunder.» Innerhalb eines halben Jahres musste man sodann einreisen. «Mit dabei ein gelbes Couvert, dass nicht geöffnet werden durfte. Nicht nur mussten wir direkt zu Beginn eine Zahlung über 16'000 Franken tätigen; nein wir mussten auch noch unsere Pässe abgeben. Hätte es also nicht geklappt, wären wir das Geld und die Pässe los gewesen.» Des Weiteren hätten auch drei Arztbesuche stattgefunden, bei denen man komplett durchleuchtet wurde. «Scheinbar will man nur gesunde Menschen ins Land lassen.»

Doch eines Tages dann die grosse Erleichterung: «Der gelbe Brief kam an.» Das bedeutet: Die Kriftners dürfen nach Amerika einreisen. Was genau in diesem Brief war, das erfahren sie nie. Jedoch weiss man: «Nur der Zöllner durfte den Umschlag öffnen.» Wahrscheinlich seien da einfach irgendwelche Dokumente drin gewesen.

«Scheinbar will man nur gesunde Menschen ins Land lassen.»
Alfred Kriftner

Willkommen in der neuen Heimat

Jetzt heisst es also, Abschied nehmen. Von der Heimat, von der Familie und den Freunden. «Nicht überall hat man diesen Schritt verstanden. Einige Freunde beispielsweise zweifelten gar an der Familie. «Aber im Endeffekt macht man das für sich und niemanden sonst.» Natürlich trifft man sich auch jetzt immer wieder mal. Regelmässig bekommt der Rheintaler auf seiner Ranch in Texas Besuch aus der Schweiz. Damit ist der Bezug zu unserem schönen Land immer noch spürbar. Ausserdem musste er sich auch von zwei seiner Kinder verabschieden. «Beide hatten hier einen Freund, den sie nicht verlassen wollten. Daher musste ich es einfach hinnehmen wie es ist.»

Stichtag Ostersamstag 2006: Die Kriftners heben ab und begeben sich in die neue Heimat. Sie lassen die Schweiz und die damit verbundenen Sorgen hinter sich – aber auch Freunde und ein Teil der Familie. «Der Abschied war nicht leicht, aber wir wussten, dass es richtig ist.» Dennoch war auch die Nervosität gross. Spät abends kommen die Kriftners in ihrer neuen Heimat an. «Am Zoll verdichten sich die Sorgen weiter. Was passiert, wenn jetzt etwas nicht klappt? Wir haben kein Haus, kein Auto, gar nichts.» Doch alles kommt gut. «Welcome to your new homeland, sagte eine Frau am Zoll. Da fiel mir ein Stein vom Herzen.» Das Rheintal ist nicht mehr seine Heimat. Jetzt ist Kriftner Amerikaner. Und das mit Leib und Seele.

Über die Serie «Alfred Kriftner – Ein Rheintaler in Texas»

Jeweils am Freitag wird eine neue Episode der Serie publiziert. Die Artikel folgen dabei chronologisch dem Leben von Kriftner und wortwörtlich von St.Margrethen bis nach Oplin in Texas. Seien Sie auch in der kommenden Woche wieder mit dabei. 

Sämtliche Artikel können Sie nach der Veröffentlichung auch im Dossier «Alfred Kriftner – Ein Rheintaler in Texas» nachlesen.

Fabian Alexander Meyer/Rheintal24