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Gast-Kommentar
Region Rheintal
02.10.2023
03.10.2023 08:47 Uhr

In den Himmel dank Tempo 30

Bild: Marina Lutz
Es gibt das Christentum, den Islam, den Buddhismus und noch ein halbes Dutzend weitere Weltreligionen. Neu dazugekommen ist: Die Tempo-30-Zone. Damit Autofahren endlich so richtig unbequem wird.

Eine 30er-Zone in einem Quartier in Oberriet: Das wünscht sich ein Anwohner. Mit viel Fleiss hat er dafür Unterschriften gesammelt und sie dem Gemeindepräsidenten vor die Füsse gelegt. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Freiwilliges Engagement von Bürgern ist immer gut, und in der Tat gibt es Wohnquartiere, in denen es keinen Grund gibt, schneller als mit 30km/h unterwegs zu sein. In vielen Fällen kann man das sowieso gar nicht tun, weil kreativ verteilte Hindernisse ein höheres Tempo verunmöglichen.

Aber abseits vom Einzelfall ist es vielleicht doch keine gute Idee, Tempo 30 auch noch von Bürgerseite zu fördern. Denn keine Bange: Der Staat erledigt das schon für uns. Die Zürcher Stadtregierung wollte schon mal so gut wie die ganze Metropole mit dieser Massnahme auf Zeitlupe stellen, in St.Gallen kursierte die Idee auch. Ganz allgemein spielt die Zeit für die Leute, die finden, man sollte mit einem Auto flächendeckend nur so schnell fahren dürfen, dass man von Rentnern auf dem E-Bike überholt wird.

Sicherheit? Nein: Ideologie

Tempo 30 ist ohne jede Übertreibung zur neuen Religion geworden. Warum eigentlich? Weil der Planet 17,5 Monate später untergeht, wenn wir in der Schweiz 30 statt 50 fahren? Kein Mensch hat etwas dagegen, dass eine Einfamilienhaus-Sackgasse, auf der Kinder spielen, verkehrsberuhigt wird. Aber es geht längst nicht mehr um Sicherheitsbedenken, sondern um Ideologie. Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Kriegs ist das Automobil der neue «BöFei», also der Gegner, den man besiegen muss.

Wobei es nicht bei den 30er-Zonen bleibt. Die ganze Politik ist darauf ausgerichtet, zwar fleissig für viel Geld Strassen zu sanieren, sie danach aber zu einer Art betoniertem Friedhof zu machen. Rund 30 Jahre nach der Entstehung der «Auto-Partei», Gott habe sie selig, laufen sämtliche Bestrebungen in die Gegenrichtung ihrer Politik. Ganz nach dem Motto: Ja, es gibt Autos, irgendwie brauchen wir sie auch, nur sollen sie bitte möglichst in der Garage bleiben.

Bei Tempo 30 bleibt es nicht. Einst gab es beispielsweise Bushaltestellen mit einer Bucht, um den restlichen Verkehr frei laufen zu lassen. Der Trend sieht ganz anders aus: Ein Bus soll laut unseren Verkehrsplanern bitte mitten auf der Strasse anhalten müssen, damit hinter ihm für die nächsten paar Minuten gar nichts mehr geht. Etwas anderes wird gar nicht mehr gebaut.

Die gepriesene Bahn hat keinen Platz

Sinn macht das nicht, denn Verkehr muss fliessen, nicht stillstehen, auch zugunsten der Umwelt. Die politische Absicht der Politik ist aber klar: «Lasst uns den Autofahrern so lange auf den Keks gehen, bis sie entmutigt auf den Zug umsteigen.» Was klingt wie der feuchte Traum eines ewigen Studenten mit dem Parteibuch der Grünen, ist längst in der Mitte angekommen – bei den sogenannten bürgerlichen Parteien. Von denen wehrt sich kaum eine gegen die Umverteilung im Verkehr.

Wenn diese Vision Wirklichkeit wird, haben wir allerdings ein Problem. Die Schweiz hat heute schon ein rekordverdächtig dichtes Netz im öffentlichen Verkehr, das oft an seine Grenzen kommt. Einfach noch ein paar Bahnwagen an eine Lok hängen, damit mehr Leute reinpassen: Klingt gut, funktioniert aber nicht. Der Fahrplan ist so schon kaum einzuhalten. Parallel dazu wächst unser Land ungezügelt, was die Mission noch unmöglicher macht.

Leute vom Auto auf die Bahn zwingen, ohne die entsprechenden Bahnkapazitäten zu haben: Das ist genau mein Humor. Aber so funktioniert die heutige Politik. Man definiert ein hehres Ziel, ohne den Schimmer einer Ahnung zu haben, wie man dieses erreicht. Dafür gibt es sogar demokratische Mehrheiten, wie das Klimaschutzgesetz in diesem Sommer bewiesen hat.

Von Greta bis zu Tempo 30

Wer die Schweiz immer noch als souveränen Staat ohne ausländische Einmischung betrachtet, sollte sich daran erinnern: Vor ein paar Jahren hat ein schwedischer Teenager einen Karton bemalt, und nun haben wir hier ein Gesetz, das völlig illusionäre Vorgaben macht, und keiner hat eine Ahnung, wie das gehen soll. Es gibt eine direkte Linie zwischen der guten Greta, streikenden St.Galler Kantonsschülern, Klimaklebern und dem Klimaschutzgesetz – und Tempo 30 auch im Rheintal.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder eine Auto-Partei gibt. Denn als diese entstand, galt im Vergleich zu heute regelrecht «Freie Fahrt für freie Bürger». Inzwischen müllt man die Städte lieber mit E-Scootern zu, die man abends aus dem Weiher fischen muss, während man die Autos wo immer möglich ausbremst.

Politiker glauben offenbar, dass sie auf dem direkten Weg in den Himmel kommen, indem sie die Autofahrer in die Hölle schicken. Das geht vielleicht noch eine Weile gut. Aber früher oder später kommt die Quittung. Nur Geduld.

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Die Kolumne «Züüsla mit Millius» erscheint wöchentlich nur auf rheintal24.ch. Der Auer Journalist kommentiert lokale und regionale Ereignisse mit spitzer Feder und aus einer anderen Perspektive.

Stefan Millius

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