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22.01.2023

Vor sechzig Jahren war der Bodensee zugefroren

Vor dem Lindauer Hafen landete sogar ein Kleinflugzeug
Vor dem Lindauer Hafen landete sogar ein Kleinflugzeug Bild: vol.at
Die letzte «Seegfrörne» war im Jahr 1963 zu verzeichnen. Kaum mehr vorstellbar bei den aktuellen lauwarmen Wintertemperaturen, fror damals der Bodensee komplett zu und man konnte zu Fuss etwa von Altenrhein/Staad bis nach Lindau laufen.

Es braucht viel, bis sich auf dem Bodensee eine geschlossene Eisdecke bildet. Seit dem Jahr 875 sind nur 33 «Seegfrörne» überliefert. Im Winter der Jahre 1962 und 1963 passte alles.

Der Winter setzte früh ein. Über Wochen hinweg gab es anschliessend Dauerfrost mit teils extremen Minusgraden. Auch die anderen Vorzeichen stimmten. Der Wasserstand des Bodensees war ab September niedrig. Die Herbststürme blieben aus.

Kältester Winter der Geschichte

«Das Oberflächenwasser kann nur dann richtig abkühlen, wenn es nicht durch einen gehörigen Sturm wieder aufgewühlt wird und das wärmere Wasser raufkommt», erläutert Bodenseeschifffahrtsexperte Arnulf Dieth. Der Winter 1962/63 ging in der Ostschweiz als der kälteste Winter des 20. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher ein. Er war um 5.2 Grad kälter als ein durchschnittlicher Winter. Ab dem 6. Februar 1963 war der See dann komplett zugefroren.

Der Fährbetrieb Romanshorn-Friedrichshafen musste eingestellt werden Bild: vol.at

Nachdem das Eis offiziell freigeben wurde, strömten Zehntausende auf den See und kamen dabei auf immer verrücktere Ideen. Die Menschen waren zu Fuss, auf Schlittschuhen, auf dem Pferd oder im Auto unterwegs. Automobilclubs veranstalteten Geschicklichkeitsfahren. Sportflugzeuge landeten auf dem Eis.

Gemeindevertretungssitzungen und Gottesdienste fanden auf dem See statt. Rundum machten Wurststände, Maroni- und Glühweinstände auf, transportable Kioske boten Tabakwaren und Schokolade an. Da Zollkontrollen kaum mehr möglich waren, wurden die Grenzbestimmungen zum Warenverkehr teilweise aufgehoben.

Ausnahmezustand am See

Das grösste Spektakel war die Eisprozession am 12. Februar. Seit 1573 wechselt eine Büste des Heiligen Johannes bei jeder Seegfrörne das Ufer. 1963 ging es von Hagnau in Deutschland nach Münsterlingen in der Schweiz. 2500 Menschen begleiteten den Zug. Rund um den See herrschte buchstäblich Ausnahmezustand. An manchen Wochenenden sollen bis zu 60.000 Menschen auf dem Eis gewesen sein.

Das Eis rund um die Schiffe musste immer wieder aufgesägt werden, damit es nicht die Bordwände eindrückte. Bild: Ulrike Huber

Ganz ungefährlich war die Seequerung nicht. Fünf Menschen bezahlten das Abenteuer mit ihrem Leben. Zwei Buben aus Friedrichshafen wurde eine Eisscholle zum Verhängnis. Die 13 und 15 Jahre alten Schüler brachen Ende Februar zu einer Schlittschuhpartie Richtung Schweizer Ufer auf, als sich eine mehrere Hundert Meter lange Eisscholle löste. Ein Augenzeuge, der den Vorfall beobachtet hatte, alarmierte die Rettungskräfte, doch bevor der Hubschrauber starten konnte, war die Nacht eingebrochen. Am nächsten Morgen konnten die Schüler nur mehr tot geborgen werden.

Tausende Wasservögel verendeten

Auch für die Wasservögel war die Seegfrörne des Jahres 1963 hart. Um die Tiere über den Winter zu bringen, wurden Löcher in das Eis geschlagen, Tierfreunde brachten Futter ans Wasser, Vereine baten um Spenden. Selbst aus der Luft kam Hilfe: Hubschrauber der Bundeswehr versorgten die Vögel mit Futter. Doch trotz der Hilfe verendeten in diesem Winter Tausende Wasservögel auf dem Bodensee. Reben und Obstbäume erfroren.

Am 6. März 1963 sperrten die Behörden den Weg über den See. Tauwetter hatte eingesetzt. Am 15. März erreichte das erste Fährschiff von Konstanz aus wieder den Meersburger Hafen. Die Behörden warnten vor weiterer Begehung der letzten Eisflächen.

rheintal24/gmh/uh/vol.at